Mit dem H1 entsteht in Regendorf ein imposantes Hochhaus aus Schweizer Holz. Architekt Roger Boltshauser erklärt, wie man mit dem Faktor Klima entwirft und baut und weshalb Holz nur eine und nicht die Lösung für eine nachhaltige Architektur ist.
Wenn sich das von Ihnen konzipierte Hochhaus selbst vorstellen könnte, was würde es erzählen?
Roger Boltshauser: Es würde die Geschichte einer Reise durch die Schweiz erzählen. Sie startet beim Holzschlag in den Wäldern des Juras, führt über die Verleimung der Buchenstäbe in Les Breuleux und die Vorfabrikation in Stein am Rhein nach Regensdorf. Das Hochhaus erzählt aber auch von Ideen und Innovationen, die hier zum ersten Mal zusammenfinden und sich in einem einzigartigen Bau manifestieren.
Es erzählt also von einer Tour de Suisse?
Im Turm steckt wirklich viel Schweizer Know-how: Von der EPFL Lausanne, von der ETH Zürich, von Ingenieuren und Planern.
Warum Holz?
Wir müssen uns überlegen, wie wir in Zukunft und für die Zukunft bauen. Die Bauindustrie ist für rund ein Viertel der Treibhausemissionen verantwortlich, ein grosser Teil davon entfällt auf die Tragstruktur der Gebäude. Holz ist ein Baustoff, der eine bessere Bilanz aufweist als Beton oder Stahl. Im Verbund mit anderen Baustoffen kann Holz einen Beitrag leisten.
Kann Holz dereinst Beton ersetzen?
Nicht überall, bei den Fundamenten etwa geht das kaum. Das ist aber auch nicht das Ziel. Das versuche ich exemplarisch mit dem Baustoff Lehm zu zeigen, den ich an der ETH erforsche. Es geht nicht darum, Beton zu verteufeln, es geht darum, ihn spezifischer einzusetzen. Dort, wo seine Eigenschaften voll zum Tragen kommen. Heute bauen wir allzu oft mit Beton, ohne über Alternativen nachzudenken. Aus meiner Sicht sind hybride Strukturen, die die Eigenschaften verschiedener Materialien kombinieren, ein vielversprechender Ansatz. Die Deckenelemente im H1 zum Beispiel kombinieren Holz und Beton, beim Sockel verkleiden wir den Beton mit Stampflehm.
Lehm darf bei Ihnen nicht fehlen...
Es ist ein Material, das mich umtreibt. Hier fertigen wir einen rund zwölf Meter hohen Sockel aus rot eingefärbtem Stampflehm. So bestimmt das Material den Ausdruck des Gebäudes, ebenso das Klima und die Akustik des überdachten Aussenraums und betont gleichzeitig die Ansprüche des Zwhatt-Areals betreffend Nachhaltigkeit.
«Nur indem man sich auf jedes Projekt, jeden Standort, jede Umgebung, jeden Kontext neu einlässt, entsteht gute Architektur.»
Wie sieht die Klimabilanz des H1 aus?
Im Vergleich zu einer reinen Betonstruktur spart der Hybridbau der Wohngeschosse rund 600 Tonnen CO2 ein, das entspricht etwa einem Viertel weniger. Zudem sind im verbauten Holz 1500 Tonnen CO2 eingelagert.
In Architekturkreisen sorgte bereits Ihr Entwurf für Verzückung. Ein Holzhochhaus in dieser Grösse gab es bislang in der Schweiz nicht. Doch was bringt den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern das viele Holz?
Wenn das letzte Geschoss aufgerichtet ist, wird das Hochhaus der höchste Bau der Schweiz sein, das stimmt. Wir werden dann aber bald überholt werden. Die Höhe ist ja auch nicht das entscheidende Kriterium. Die Bewohnerinnen und Bewohner leben in Wohnungen, in denen das Konzept des Baus sichtbar ist. Die Balken, die Stützen, die Struktur, das bleibt alles sichtbar. Es ist eine Architektur und Materialisierung, die für ein gutes Raum- und Wohnklima sorgt. Viele Menschen mögen Holz – hier lebt man in einem Holzbau ganz ohne Chalet-Chic.
Das H1 bietet insgesamt rund 150 Wohnungen – von Studios über 1,5-Zimmer- bis hin zu 5,5-Zimmer-Wohnungen. Weshalb so viele unterschiedliche Wohnungstypen?
Auf diese Weise trägt das H1 zur Durchmischung im Hochhaus und im Quartier bei. Wir schaffen verschiedene Typologien für unterschiedliche Nutzungsprofile. Durchmischung ist für die Qualität im Quartier zentral und bei Zwhatt ein wichtiges Anliegen. Deshalb gibt es in der Mitte des Hochhauses auch einen Waschsalon und einen doppelgeschossigen Gemeinschaftstraum, die von allen Hausbewohner:innen genutzt werden können.
Erfüllt der Bau die neuesten Brandschutzbestimmungen?
Natürlich. Für die Photovoltaikanlage an der Fassade mussten wir eigens Brandtests durchführen, das Konzept erfüllt alle Bestimmungen.
«Wir müssen uns überlegen, wie wir in Zukunft und für die Zukunft bauen.»
Die Fassade ist mit horizontalen Solarpaneelen versehen, die wie schmale Vordächer rund um die Geschosse laufen. Weshalb?
Diese PV-Fassade hat sich im Lauf des Projekts entwickelt. Gegenüber einer vertikalen PV-Anlage konnten die Flächen zur Stromproduktion mehr als verdoppelt werden. Die Module dienen nun nicht mehr nur zur Stromproduktuon, sondern auch als fixer Sonnenschutz, der die Wohnungen beschattet, ohne dass man allzu viel Tageslicht verliert. Zudem sind sie ein wichtiges gestalterisches Element.
Ist das Gebäude energieautark?
Nein, das ist es nicht. Die PV-Anlage ist Teil der gesamten Arealversorgung und des Energiekonzepts von Zwhatt.
Sie bauen und betreuen Dutzende von Projekten gleichzeitig, einige davon im Ausland. Plant und baut man in Regensdorf anders als in Hamburg, Hannover oder Honolulu?
Auf jeden Fall. Man plant und baut auch innerhalb von Regensdorf und sogar innerhalb des Zwhatt-Areals unterschiedlich. Nur indem man sich auf jedes Projekt, jeden Standort, jede Umgebung, jeden Kontext neu einlässt, entsteht gute Architektur. Und diese ist für einen nachhaltige Bauwirtschaft viel wichtiger als der Baustoff Holz: Die nachhaltigsten Gebäude sind die, die Identifikation schaffen und die niemand je wieder abreissen will.
Warum braucht Zwhatt ein Hochhaus?
Die beiden von Peter Märkli im Masterplan konzipierten Hochhäuser sind prägende und identitätsstiftende Elemente des Quartiers. Die rund 320 Wohnungen in den beiden Wohntürmen ermöglichen eine angemessene Verdichtung: Sie schaffen Platz für grosszügige Freiräume mit unterschiedlichen Dimensionen und Qualitäten. Entlang der Furttalpromenade wird im Zwhatt-Areal das eigentliche Quartierszentrum geschaffen, die Hochhäuser markieren die Quartiermitte und sorgen für Orientierung.
Zur Person
Roger Boltshauser (*1964) hat Boltshauser Architekten 1996 gegründet. Das Büro mit Standorten in Zürich und München zählt rund 80 Mitarbeiter:innen. Boltshauser lehrt als Gastdozent an der ETH Zürich. Zu seinen bestimmenden Themen gehört das Bauen mit Lehm. Boltshauser hat das Laborgebäude GLC der ETH gebaut oder die Wettbewerbe für das Zahnmedizinische Zentrum der Universität Zürich sowie für das neue Sportzentrum Oerlikon gewonnen. In Hamburg ist das Büro mit dem Bau eines Museums betraut, das an die Deportierungen während des Zweiten Weltkrieges durch die Nazis erinnert. Im November 2023 wurde das Holzhochhaus H1 an den Holcim Awards mit einem Preis ausgezeichnet.
Holzhochhaus
→ boltshauser.info
Interview: Adrian Schräder
Bilder: Désirée Good
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